Der Krebs, die Angst und die Frage nach dem Warum
- Elena Vogt
- 8. Nov. 2018
- 4 Min. Lesezeit
(Alle Texte sind von mir geschrieben)
Ich stehe an einer Klippe, die aus der kilometerweiten Felswand hervorragt.
Vor mir ergibt sich das endlos erscheinende Meer.
Weit unter mir brechen die Wellen, so laut, dass es den kompletten Raum um mich einnimmt und kein anderes Geräusch Gehör findet.
Doch während das Meer in dem einem Moment noch so ohrenbetäubend laut schreit, besänftigt es sich im gleichen Atemzug immer wieder selbst, ein Zusammenspiel von Hoffnungslosigkeit und Zuversicht, von Angst und Mut, ein stetiges Hin und Her, Auf und Ab.
Am Horizont verschmilzt die tiefstehende Sonne mit der Wasseroberfläche, umrahmt von eindrucksvoll geformten Wolken - getaucht in ein zartes Rosa.
Ich fühle mich erfüllt von der unendlichen Weite und der friedlichen Gewaltsamkeit, irgendwie angekommen.
Eine leise Träne läuft mir die Wange hinab, während mir der salzige Geruch des Meeres in der Nase kitzelt.
Ich flüchte mich gerne an diesen Ort.
Diesen kleinen Textabschnitt habe ich kurz nach meiner Diagnose geschrieben, als mein Alltag nahezu durchgehend von einer lähmenden und überwältigenden Angst bestimmt war.
Angst vor der Willkür und Unberechenbarkeit der Krankheit. Angst wegen und vor der eigenen Machtlosigkeit. Angst, dass der Krebs nicht mehr aus meinem Körper verschwindet. Angst so jung zu sterben und das Leben in all seiner Vielfalt zu verpassen.
Schlagartig und unverhofft wurde ich aus meinem gewohnten und alltäglichen Leben gerissen, musste mein FSJ früher beenden, bin wieder nach Hause gezogen und war gezwungen mein geplantes Studium zu verschieben. Dabei war alles gut so wie es war.
Von dem einen auf den anderen Moment war ich Krebspatientin und zudem mit allem heillos überfordert.
Aber manchmal ist das Leben eben so - unberechenbar, ungerecht und rücksichtslos.
Plötzlich werde ich ins kalte Wasser geschmissen und das so unerwartet, dass ich nicht mal mehr Zeit hatte um nochmal tief Luft zu holen oder mir die Nase zuzuhalten.
Schon im nächsten Augenblick befinde ich mich meterweit unter der Wasseroberfläche und gleite langsam weiter in die Tiefe, ehe ich realisiere was passiert ist.
Blitzartig erwache ich aus der Schockstarre und strample verzweifelt nach oben.
Immer noch fehlt mir jegliche Orientierung, meine Sicht ist verschwommen und ich greife hilflos um mich, auf der Suche nach etwas das mir Halt und Sicherheit gibt – doch da ist nichts, ich greife ins Leere.
Langsam geht mir die Luft aus und Panik steigt in mir auf.
Angsterfüllt blicke ich nach oben und sehe wie die Sonne ihre Strahlen sanft über die unruhige Wasseroberfläche streichen lässt. Dieser Anblick erfüllt mich und ich fasse neuen Mut.
Nach der Diagnose, in der Phase der Orientierungslosigkeit und des Verlorenseins, hat sich mir eine Frage besonders aufgedrängt:
„Warum Ich? Womit habe ich das verdient?“.
In Deutschland erkranken jährlich ca. 2600 Männer und Frauen an einem Hodgkin Lymphom. Bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 82 Millionen Menschen, ist es dementsprechend unwahrscheinlich daran zu erkranken, aber noch unwahrscheinlicher schien mir, dass ausgerechnet ich einer dieser Menschen sein soll. Also, warum Ich?
Warum? – Darum!
Mittlerweile stellt sich mir die Frage nicht mehr, aber nicht, weil ich eine Antwort gefunden habe, sondern weil es schlichtweg keine gibt.
Mir ist bewusst geworden, dass es für manche Dinge keinen Grund und keine Erklärung gibt, dass das Warum in vielen Fällen unwichtig ist.
Manchmal passieren Dinge einfach so, unvorhersehbar und ungewollt, und einem bleibt nichts anderes übrig als sie in ihrem plötzlichen Auftreten zu akzeptieren und zu lernen mit ihnen umzugehen, ändern kann man sie sowieso nicht.
Statt nach dem Warum zu fragen, sollte man viel lieber nach dem Und jetzt fragen.
„Wie gehe ich mit der Krankheit um? Was kann ich tun um die Situation für meine Familie aber vor allem für mich so erträglich wie möglich zu machen? Was tut mir gut? Kann mir die Krankheit sogar neue Perspektiven auf das Leben eröffnen? etc.“
Denn wie John Strelecky schon in seinem Buch „Das Café am Rande der Welt“ schrieb: „Manchmal ist es hilfreich Dinge aus einem anderen Blickwinkel wahrzunehmen“.
Die Krankheit ist nun meine neue, unabänderliche Realität und nichts in meiner Macht Stehende kann diese Realität ändern.
So sehr ich mir ein Leben ohne Krankheit wünsche, es gibt kein Zurück oder Was-wäre-wenn. Dem Leben ist egal, welche Pläne du hast, wie alt du bist oder wer du bist.
Entweder du hast Glück oder Pech, beeinflussen kannst du es nicht – zumindest nicht entscheidend.
Die Angst im Nacken
Trotz allem weicht mir die Angst bis heute nicht von der Seite.
Ein solcher Perspektivwechsel bewirkt nämlich keine Wunder, sondern bietet mir lediglich neue Möglichkeiten die Krankheit zu akzeptieren und mit ihr umzugehen – sozusagen zur Schadensbegrenzung.
Mit der Zeit ist die Angst zu meiner treuen Begleiterin geworden, welche genauso ein Teil der Krankheit ist, wie all die anderen Nebenwirkungen auch.
Während sie sich zuweilen im Hintergrund aufhält und mich aus spürbarer Nähe beobachtet, läuft sie im nächsten Moment wieder dicht neben mir und greift aufdringlich nach meiner Hand um mich mit sich zu ziehen.
Das zeigt sich vor allem immer dann, wenn etwas außerplanmäßig verläuft, wenn der vorgezeichnete Weg einen unerwarteten Umweg einschlägt und ich mich einer neuen Situation anpassen muss.
Oder wenn ich Schmerzen habe und diese nicht als solche annehmen kann, sondern sie als Anzeichen einer fortschreitenden oder neuauftretenden Krebserkrankung interpretiere.
In solchen Momenten zeigt sich immer wieder, auf welch maximalen Stresslevel ich mich befinde, wie gering meine Frustrationstoleranz ist und wie dicht mir die Angst im Nacken sitzt.
Aber Angst wird und kann an Tatsachen niemals etwas ändern.
Genau wie die Krankheit, muss ich sie annehmen und lernen mit ihr umzugehen, anstatt mich von ihr einnehmen zu lassen – aber das braucht seine Zeit.
Zusammenfassend hat mich die Krankheit in den letzten Monaten einiges gelehrt, aber es gibt mindestens hundert Dinge die ich noch immer lernen muss.
Dinge die Zeit und Geduld fordern.
Das wilde Meer trägt mich, schubst mich, nimmt mir den Atmen. Aber es wiegt mich auch in den Schlaf, bietet mir Schutz und Zuflucht. Es ist ein stetiges Auf und Ab, ein Hin und Her.
Auch wenn ich wieder festes Land unter den Füßen habe, hat die lange Reise mich gezeichnet und bebt in mir nach. Schließe ich die Augen spüre ich das Wiegen und Peitschen der Wellen, höre den tosenden Sturm und schmecke die salzigen Tropfen des Meeres auf meiner Zunge.
Ich habe Angst und das ist okay.
Vielen Dank wenn du bis hier hin gelesen hast.
Elena ♥
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