Veränderungen, Loslassen und meine neue Sicht auf das Leben
- Elena Vogt
- 11. Nov. 2018
- 4 Min. Lesezeit
In den letzten Monaten hat sich einiges in meinem Leben verändert.
Der Krebs hat mir viel genommen aber auch viel gegeben.
Dennoch ging fast keiner dieser Veränderungen eine freiwillige Entscheidung meinerseits voraus.
Sie wurden kompromisslos und ohne jegliches Recht auf Mitsprache von dem fiesen und gnadenlosen Krebs in mir getroffen.
Von dem einen auf den anderen Tag wurde ich aus meinem gewohnten Alltag gerissen, war dazu gezwungen mein freiwilliges soziales Jahr in der Psychiatrie zwei Monate früher zu beenden und bin aus meinem beschaulichen 12qm² Wohnheimzimmer wieder zurück in mein vertrautes Zuhause gezogen.
Im Herbst hätte dann eigentlich mein Psychologie-Studium begonnen, auf das ich mich schon ein ganzes Jahr gefreut habe.
Dementsprechend frustrierend war es, die so lang ersehnten Zulassungsbescheide abzulehnen. Nun muss ich ein weiteres Jahr warten, bis ich dann hoffentlich im Winter 2019 mit dem Studieren anfangen kann.
Aber was ist schon ein Jahr hin oder her im Vergleich zu dem Kampf gegen eine Krankheit die mein Leben bedroht.
Ich will also mich gar nicht beschweren und wer weiß, welche neuen Möglichkeiten und schönen (!) Abenteuer mir das kommende Jahr bereithält.
Loslassen und die Angst vor dem freien Fall
Das „Loslassen“ hat mich in vielerlei Hinsicht durch die Krankheit begleitet.
Loslassen bedeutet Kontrolle abgeben beziehungsweise sich einzugestehen, dass man keine Kontrolle hat; dass man hinsichtlich der Krankheit nie Kontrolle hatte oder haben wird. Es muss nur ein einziges genmutiertes Blutkörperchen gewesen sein, dass dem Kontroll- und Alarmsystem meines Körpers entgangen ist, sich vermehrt und fortan den gesunden Zellen immer mehr Raum genommen hat.
Krebs ist lebensbedrohlich. Ohne Behandlung würde ich sterben.
Also habe ich eine Chemotherapie gemacht, vertraue auf die Aussagen der Ärzte, orientiere mich an Statistiken und Erfahrungsberichten.
Aber ob die bösen Zellen auf die Chemo ansprechen und vernichtet werden oder ob sie sich weiterteilen, kann niemand entscheidend beeinflussen - weder die Ärzte noch ich.
Das bedeutet für mich aber nicht, dass ich den Kopf in den Sand stecke oder mir die Decke über den Kopf ziehe und zitternd hoffe, dass alles glimpflich verläuft.
Ich lasse den Gedanken los, begebe mich in den freien Fall und versuche mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren – Alles Schritt für Schritt. (Manchmal ist das gar nicht so einfach)
Und solange mache ich was mir gut tut, gehe in die Natur, treffe mich mit Freunden und versuche durch positive Gedanken und Zuversicht, die Angst und die Hilflosigkeit zu übertönen.
Loslassen fordert Stärke aber auch Schmerz.
Die Krankheit betrifft nicht nur mich, sondern konfrontiert auch meine Familie, meine Freunde, mein persönliches Umfeld mit einer erschreckenden, neuen Realität.
Eine Realität mit der jeder ganz unterschiedlich umgeht.
Konsequenz war, dass sich Menschen mit und wegen dem Krebs von mir abgewendet haben. Menschen die mir wichtig waren, denen ich vertraut habe.
Ich mache niemandem einen Vorwurf, ich weiß selbst am besten wie schwierig es ist sich mit der neuen Situation zurechtzufinden, ich kenne die Unsicherheit und die vielen Fragezeichen.
Mir ist bewusst, dass man in Verlegenheit gerät und im ersten Moment nicht weiß was man sagen soll, weil man mich nicht verletzen will, mich nicht ständig an die Krankheit erinnern und nichts Falsches sagen will.
Aber ich kann die Krankheit nicht einfach vergessen und mit einer Nachricht plötzlich wieder daran erinnert werden.
Es gibt auch kein Richtig oder Falsch.
Das Einzige was falsch ist, ist aus der Angst und der Unsicherheit heraus lieber nichts zu sagen.
Das tut weh und gibt mir das Gefühl etwas falsch gemacht zu haben, die Leute überfordert oder überrumpelt zu haben.
Dabei will ich überhaupt nicht, dass meine Krankheit immer im Mittelpunkt der Gespräche oder des Miteinander steht, genauso wie ich nicht will, dass die Krankheit totgeschwiegen wird.
Was ich will und wonach ich mich sehne ist Normalität.
Normalität die im sonstigen Therapie- oder Krankenhausalltag fehlt.
Aber neben der Enttäuschung überwiegt die Freude und Dankbarkeit über diejenigen, die mir genau diese Normalität ermöglichen.
Es haben sich Freundschaften gefestigt und wiedergefunden.
Es sind „neue“ Menschen in mein Leben getreten.
Zum einen Menschen die mein Schicksal teilen, zum anderen aber auch Menschen die keinerlei Berührungspunkte mit der Krankheit haben.
Es ist ein Zusammenhalt entstanden, der so bedingungslos und echt ist, dass kommen kann was will.
Auch wenn man sich nicht jeden Tag sieht oder fortlaufend in Kontakt steht, kann ich mir der Unterstützung, der Freundschaft und dem Rückhalt immer bewusst sein und dafür bin ich unfassbar dankbar.
Oft sind es nur Kleinigkeiten, wie eine kurze Nachricht über WhatsApp, die Nachfrage wie es mir geht, eine überraschende Karte, eine Blume vor der Haustüre oder eine lange Umarmung, die mir ein riesiges Lächeln ins Gesicht zaubern.
Meine veränderte Sicht auf das Leben
Mit der Zeit haben sich nicht nur meine Lebensumstände verändert, auch ich habe mich als Person verändert.
Und damit meine ich nicht das Offensichtliche. Ich habe meine Haare verloren, mit der Zeit auch Wimpern und Augenbrauen. Ich habe dauerhaft Augenringe, habe plötzlich Sommersprossen und einige Narben mehr an meinem Körper.
Mit den Veränderungen meine ich viel mehr mein Denken, meine Sicht auf das Leben und mein Umgang mit beschriebenen Problemen, Enttäuschung oder Angst.
Ich bin keine neue oder grundlegend veränderte Elena, ich bin nur eine andersdenkende Elena, die das Leben fortan mit anderen Augen sieht.
Für mich ist vieles nicht mehr selbstverständlich, nicht zuletzt das Leben selbst.
Ich versuche viel mehr im Moment zu leben und bin dankbar für all die glücklichen Momente, in denen die Sonne in mir scheint, in denen ich lache und das Leben liebe.
Denn erst durch die Krankheit habe ich solche Momente, Stunden, Tage schätzen gelernt und nutze sie als Quelle meiner Kraft, Zuversicht und Stärke.
Aber auch die schlechten Tage werfen mich nicht mehr so einfach aus der Bahn.
Es ist völlig normal, dass es Zeiten gibt in denen dunkle Wolken aufziehen.
Zeiten in denen die Angst präsenter ist, ich den Kopf einziehe und das Gefühl habe all dem
nicht mehr stand zuhalten.
Aber keine Sorge, die Wolken ziehen bald weiter.
Ohne Schatten gibt es kein Licht, man muss auch die Nacht kennen lernen." - Albert Camus
Danke, falls ihr euch die Zeit genommen und bis hier gelesen habt!
Elena :)
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